Happy End!?

Happy End nach achteinhalb Jahren Kampf um die Insel!?

Es war eine überraschende Wendung in den scheinbar aussichtslosen Verhandlungen um ein neues Objekt nach dem Wegfall der Insel. Doch nun ist es seit Freitag besiegelt. Die Insel wird zum Jahresende leer- und die Räumungsklagen zurückgezogen. Dafür wird es einen Pachtvertrag für den ‘Carl August’ an der B7 Richtung Isserstedt geben und ein neues Projekt kann entstehen. Das Land spart enorme Mehrkosten für einen späteren oder geänderten Verlauf des Baus. Die damit verglichen viel geringere Summe für den Kauf der Immobilie wird durch den Pachtzins zurück fließen. Eine Win-Win-Win-Situation also. Oder?

Doch der Reihe nach:

Wie kam nun so plötzlich die Wendung?

Vor wenigen Wochen noch sah es düster aus. Die Güteverhandlung vor Gericht am 30. Oktober war gescheitert, da die Angebote des Landes von uns nicht angenommen werden konnten. Die Insel für ein Haus herzugeben, das keine handvoll Jahre einen rechtsunsicheren Raum geboten hätte, war schlicht keine Option. Uns ging es immer darum, für Jena einen Ort zu erkämpfen, in dem alternative Lebensformen und freie unkommerzielle (Sozio-)Kultur auf Dauer bleiben können. Wirkliche Angebote hatte es von Seiten Stadt oder Land bis vor Kurzem nicht gegeben, auch wenn oft Gegenteiliges behauptet wurde. Die Unannehmbarkeit der besprochenen Häuser lag entweder an fehlendem Brandschutz, mangelnder zeitlicher Perspektive, nicht passenden Nutzungsrechten, wirtschaftlichen Verwertungsplänen oder dem Unwillen, die Gebäude an eine soziokulturelle Initiative zu vergeben. Nun lief alles darauf hinaus, dass eine Hauptverhandlung zu einem Urteil über die Rechtmäßigkeit der Kündigungen führen würde, gegen die jene Seite in Berufung gegangen wäre, zu deren Ungunsten das Urteil ausgefallen wäre. Das hätte durchaus zwei Jahre dauern können. Der wachsende Zeitdruck und die Gefährdung des gesamten Bauprojektes führte letztlich zum Einlenken auf Seiten des Landes Dank der Initivative vereinzelter Menschen, die an der nun gefunden Lösung gearbeitet haben.

Plötzlich war in kürzester Zeit möglich, was hätte schon so viel früher zustande kommen können. Die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen erwarb für den Freistaat die Immobilie ‘Carl August’. Der Kaufvertrag wurde abgeschlossen, nachdem die beiden Angeklagten von der Insel am vergangenen Freitagmorgen den Räumungsvergleich beim Notar unterschrieben hatten. Darin stimmten Sie dem Auszug aus der Insel bis Ende des Jahres und einer danach erlaubten Räumung zu. Im Gegenzug erhielten sie einen Mietvertrag für den Carl August, der jedoch nur einen Übergang von ein bis zwei Monaten darstellt. Wenn der neugegründete Verein Nische e. V. im Vereinsregister und das Land im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist, wird ein Pachtvertrag nach Erbbaurecht über 50 Jahre zwischen diesen Parteien abgeschlossen. Damit steht einer Nutzung als Wohn- und Kulturstätte nichts mehr im Weg. Die laufenden Räumungsklagen gegen die beiden Halter*innen der Mietverträge werden zurückgezogen und Schadensersatzforderungen nicht gestellt.

Was wird im Carl August entstehen?

Der ‘Carl August’ ist genau für eine solche Mischnutzung ausgelegt. Er hat eine Gastroküche, Veranstaltungsräume, Zimmer zur Berherbergung von Menschen und Lager- und Wirtschaftsräume. Die Außenfläche gibt Platz auf der Terrasse, zum Spielen und Aufhalten. Der umgebende Wald bietet naturnahen Erholungscharakter, wenn auch die Straße die Idylle etwas stört. Eine Bushaltestelle und der Fahrradweg sorgen für Anbindung, trotz dass der Radweg im Winter nicht gut geräumt wird. An sich gehört das Grundstück zu Großschwabhausen und damit dem Weimarer Land, doch Strom, Müll und Post werden von Jena aus versorgt. Diese merkwürdige Konstruktion ist historisch gewachsen. Vor genau 300 Jahren wurde dort das erste Gasthaus „Zum fröhlichen Wirt“ von einem Großschabhausener eröffnet, dessen neunjähriges Bestehen jedoch nicht nachgeahmt werden soll.


Quelle: https://mapio.net

Das Haus bietet also viele neue Möglichkeiten, hat aber auch ein paar Grenzen. Eine neue Insel ist es zwar vielleicht im wörtlichen Sinne, doch wird es ein völlig neues Projekt – und bietet die Aussicht einer Weiterentwicklung, nicht zuletzt aufgrund einer langfristigen Perspektive. Es soll jedoch ebenso eine offene Begegnungsstätte und ein freier Ort für soziokulturelle, kulturelle und gesellschaftspolitische Verwirklichung werden. Ein Freiraum für die jungen und junggebliebenen Menschen Jenas und der Umgebung. Ein Ort, der ebenso wie die Insel allen Menschen offen steht, gleich welcher Herkunft und welchen Inhalts des Geldbeutels. Ein Raum für alternative Lebensweisen und solidarischen Miteinanders. Und eine Umgebung, in der Diskussionen über Antworten auf die Fragen unserer Zeit konstruktiv geführt werden können. Neben einigen Veranstaltungsreihen, welche sich über die Zeit bewährt haben, werden auch andere Formate als an der Insel nötig und möglich: Seminartage, Konferenzen, Begegnungen, künstlerische und handwerkliche Projekte können dort Raum finden. Was genau da geschehen wird, liegt in den Händen jener, die sich da einbringen werden. Das Projekt steht Menschen offen, es mitzugestalten und sich auszuleben.

Ein klarer Gewinn! Oder?

Bei aller Freude über diesen Ausgang des langjährigen Konflikts und der Vorfreude auf das Neue gibt es dennoch auch schwerer Verdauliches und nachdenklich Stimmendes. So kam die Lösung zwar dank einzelner Menschen an wichtigen Stellen zustande, die verstanden haben, welche Bedeutung solche Orte wie die Insel haben, und die sich auch aus ideellen Gründen für eine Lösung einsetzten. Doch allein aus Sympathie, politischem Willen und Anerkennung ist dieser Wurf nicht gelungen. Letztlich hatten wir enormes Glück, das vielen Projekten dieser Art in der Vergangenheit nicht zuteil wurde. Die ablaufende Zeit und auch der ein oder andere Fehler vom Land führten zu einem materiellen Druck, der die jetzige Lösung nur rational machte. Wenn ein wirklicher politischer Wille bestanden hätte, dann wäre eine solche Lösung schon vor langer Zeit möglich gewesen. Daher freuen wir uns zwar über dieses Ende und sind Einzelnen für ihre Initiative sehr dankbar, doch werden wir nicht in Lobhudeleien gegenüber der Stadt und dem Land versinken und ihre Politik weiterhin kritisieren.

Die Stellung und der Wert alternativer Lebens- und Wohnformen und nichtkommerzieller Räume für eine Gesellschaft und für eine Stadt erfährt längst nicht die Priorisierung, die sie verdient hätte. Finanzielle, kommerzielle und machtstrategische Interessen (Städtewettbewerb, Gewerbesteuern, Prestigeprojekte usw.) bestimmen weiterhin das politische Geschehen in der zeitgenössischen Stadt. Sozial nachhaltige sowie ökologisch und klimatisch sinnvolle Stadtentwicklung ist noch lange nicht die Realität. Angiffe von rechts, das Abdriften der Gesellschaft in faschistoide Richtungen und Verbündungen der Bürgerlichen mit Rechten müssen abgewehrt werden. Auch das am Inselplatz geplante Bauprojekt zum sogenannten Campus bietet Aspekte starker Kritik aus kapitalismuskritischer, ökologischer und gerechtigkeitsbezogener Perspektive. Die Gentrifizierung Jenas ist fortgeschritten und wird in Zukunft die Innenstadt noch stärker prägen. Bezahlbarer Wohnraum und nicht konsumorientierter begegnungsfreundlicher auch öffentlicher Raum ist weiterhin rar. Familien mit Kindern, ärmere Menschen und freie Inititiativen haben nur schwer Platz in der Stadt und schon gar nicht im Zentrum. Mit der Insel wird eben auch eine Begegnungsstätte im Herzen Jenas wegfallen. In gewisser Weise wird die freie Szene aus der Stadt heraus gedrängt.

Doch zugleich erhalten wir alle eine neue Chance und einen neuen Raum, der dazu beitragen kann, dass Jena lebenswert und anziehend ist und Raum für Unkonventionelles, Kreatives und für Freiheit bietet. Viele Jahre liegen nun hinter uns, in denen wir immer für den Wert von Freiräumen allgemein und für einen neuen Ort nach dem absehbaren Verlust der Insel gekämpft haben. Unzählige Menschen haben sich daran beteiligt und so ist es doch auch ein Sieg für die Bewegung in Jena, eine Belohnung für Ausdauer, Konsequenz, Zusammenhalt und den Glauben an die Richtigkeit unserer Ziele. Schauen wir nochmal kurz zurück:

Eine lange Geschichte des Konflikts

Im Sommer 2011 war es, dass die Insel erstmals über deren Bedrohung durch das Bauprojekt der Universität gegenüber der Stadtpolitik gesprochen hat. In den Folgemonaten begann die ins Nichts führende Wanderung durch Ausschüsse und Gremien, Parteien und Stadtverwaltungsstellen. Der Versuch war damals, die parlamentarischen Wege zu nutzen, um Gehör und Einbeziehung zu finden. Die verschiedenen Ausschüsse (Stadtentwicklung, Soziales und Kultur) schickten uns im Kreis und wiesen ihre Zuständigkeit zurück. Eine Erfahrung, die sich in den Folgejahren in verschiedenen Formen wiederholen sollte. Die beratenden Gremien (Ortsteilrat, Studierenden- und Soziokulturbeirat) sprachen sich für eine Einbeziehung der Insel in das Bauprojekt aus. Zuspruch gab es damals wie auch später auch aus verschiedenen Organisationen und kulturellen Institutionen. Der Stadtrat jedoch lehnte es stets ab, auch nur zu prüfen, ob die Inselimmobilie in die Pläne integriert werden könne. Die Verwaltung erhielt dennoch den Auftrag, sich um eine Ersatzlösung zu bemühen. Doch alle städtischen Akteure (Jenawohnen, KIJ, verschiedene Dezernate) gaben immer wieder an, keine Immobilien zu haben, und ernsthafte Bemühungen seitens der Stadtverwaltung zu einer Lösung waren bis jüngst nicht zu erkennen. Beschwichtigungen gerade von Seiten des damaligen Oberbürgermeisters Albrecht Schröter (SPD) waren wenig glaubwürdig und eher eine Flucht vor der offenen Bekundung des politischen Unwillens. In gewisser Weise wurde nun nach acht Jahren der damalige Stadtratsbeschluss umgesetzt.


Demo 2012 für Erhalt (sozio-)kultureller Freiräume,
hier symbolisch die bereits verlorenen Orte

2011 begannen wir auch mit der Kommunikation in der Öffentlichkeit über Demonstrationen, Aktionen und zahlreiche Pressegespräche. Die ersten Demos standen noch in dem Zeichen der grundsätzlichen Problematik von Freiräumen, Soziokultur und unkommerziellen Projekten. Das Engagement der Insel gemeinsam mit anderen Initiativen brachte das Thema in einen stärkeren Fokus auch der Stadtpolitik – mit teils positiven Folgen, wenn man etwa an den Schlachthof und die stärkere Berücksichtigung der Soziokultur in der Kulturkonzeption denkt. Es gab mehrere Demos, ein Theaterstück der Freien Bühne, das durch die Stadt zog, eine Jubeldemo, satirische Einlagen bei „hohem Besuch“ an der Insel und natürlich die umstrittene symbolische Störung des Stadtrates 2013. In vielen Medienbeiträgen wurden die Facetten der Insel verarbeitet, es entstanden kurze Filme, Interviews in Rundfunk- und Printmedien, Radiofeatures, künstlerische Bilder, Fotoprojekte und Bachelorarbeiten.

Umstritten war die Insel immer. Kontroversen und Grundsatzdiskussionen zogen sich quer durch Stadtrat, Ämter, Vereine, sogar Familien und durch die alternative Szene Jenas selbst. Wir empfanden genau jene grundsätzlichen Auseinandersetzungen über Wert und Unwert an der Insel auch immer als wichtig. So anstrengend es manches Mal war, als Menschen und Bewohner*innen die Urteile und Vorurteile und Pauschalisierungen auszuhalten, so wertvoll erkannten wir die durchaus gewollten Diskussionen über grundlegende Fragen des Lebens, des Wohnens, der Stadtentwicklung, der Annäherungen an politische Utopien und des kulturellen freien Treibens. Gestärkt hat uns dabei immer das Erleben der vielen in dieser Gesellschaft seltenen Begebenheiten von Kooperation und Freiheit. Die Insel ist über zehn Jahre ein Sammelsurium an zwischenmenschlichen, politischen und kulturellen Anekdoten geworden, das ganze Bände füllen könnte, wollte man die Vielschichtigkeit dokumentieren. Als Experiment verstanden, eine andere gesellschaftliche Realität im Kleinen zu leben, entsteht ein Blick, der die gelungenen Seiten zu wertschätzen weiß ohne zu glorifizieren, und die gescheiterten Aspekte zu reflektieren ohne das Ganze schlechtzureden.

Ein Neuanfang und ein Abschied für immer

Nun kann ein Neuanfang geschehen. Ein Umzug in ein anderes Gebäude führt immer zu einem anderen Projekt. Es wird keine neue Insel geben. Die Insel wird Geschichte sein – eine Geschichte, die das Leben hunderter beteiligter Menschen geprägt hat und wohl mehreren tausend Besucher*innen in Erinnerung bleiben wird. Die Verwandlung, die Menschen an diesem seltenen Ort erfuhren, wird weiterleben; das Erfahrene und das Gelernte wird weitergetragen. Die Insel war ein großes Glück, ein seltenes Gut in einer Welt, in der sinnstiftende Teilhabe an Kultur und gemeinschaftlichem Leben nicht selbstverständlich sind, in der nur wenigen vergönnt ist, Ideale gemeinsam auszuleben. Es ist ein Abschied, der daher auch schmerzt. Ein Abschied, der viel später kam, als wir immer wieder dachten. Ein Abschied, der nötig ist, um einen Neuanfang zu schaffen. Ein Abschied in großer Dankbarkeit gegenüber all den Menschen, die den Ort mitgestaltet, mitgetragen oder auch gelassen haben. Ein Abschied in der Hoffnung und Vorfreude auf kommende utopische Projekte und Experimente. Ein Abschied in Liebe.