Sexistische Übergriffe beim Insel-Soli-Rave

Am Freitag, den 22.03. veranstalteten wir im Café Wagner einen Soli-Rave. Der Abend war an sich ziemlich schön, trotz der Fülle war die Athmosphäre sehr entspannt. Der gemütlich gemachte Außenbereich lud die Menschen zum Verweilen und Auftanken ein. Drinnen wurde bis in die späten Morgenstunden zu den treibenden Technosounds von DJanes und DJs aus der Insel und Berlin getanzt. Trotzdem war die Nacht leider nicht für alle so wunderbar. Eine Frau veröffentlichte ihre Erfahrungen von übergriffigem Verhalten. Die mail erreichte uns am Samstag (siehe unten) und trat bei uns weiterführende Diskussionen und manches an Vorhaben in Gang. Am Montag veröffentlichten wir folgendes Statement:

 

Statement der Insel

Uns haben die Berichte von sexistischen Übergriffen auf unserer Party im Café Wagner bestürzt und sehr nachdenklich gestimmt. Gleichzeitig sind wir froh und dankbar, dass die betroffene Person den Mut gefasst hat, das offen zu teilen.

Wir haben am Wochenende mit einigen von uns angeregte Diskussionen über Awareness allgemein und auf unseren Parties geführt, dabei die Probleme unsererseits wie auch Lösungen für die Zukunft besprochen. Auch mit dem Café Wagner haben wir heute noch Rücksprache gehalten. Schon seit einer Weile haben wir auf der Insel zunehmend Awareness-Konzepte angenommen. Auf einzelnen Partys gab es schon Awareness-Teams und ja, da ist noch viel Platz nach oben, dass wir es ermöglichen, dass sich alle bei uns wohl und frei fühlen können.

Tatsächlich gab es am Freitag, wie wir durch verschiedene Gespräche mitbekamen, noch weitere Menschen, die sich belästigt gefühlt haben. Wir finden es auf jeden Fall richtig Kacke, dass die sonst aus unserer Sicht sehr gelungene Nacht für manche so enttäuschend und unschön war. Und ebenso Kacke finden wir, dass es an dem Abend offensichtlich nicht gelang die Täter mit ihrem übergriffigen Verhalten zu konfrontieren.

Für die Party am Freitag im Café Wagner hatten wir tatsächlich die Zusage von einem Awareness-Team. Wir hatten sogar einen extra Raum in der oberen Etage zur Verfügung. Am Donnerstag stand jedoch leider fest, dass von dem Awareness-Team aus triftigen Gründen doch nur zwei Menschen da sein können. Und diese zwei hatten dann auch noch als Insulaner*innen zusätzlich andere Aufgaben wahrzunehmen. An dem Abend selbst waren die beiden Menschen viel Zeit an der Außenbar und davon ausgegangen, dass es schon klar sei, dass man die Menschen dort ansprechen könne. Eine eindeutige Markierung hat jedoch gefehlt. Als die Unterbesetzung am Donnerstagabend feststand haben wir es leider versäumt noch weitere Hilfe von anderen Gruppen zu aquirieren. Diese Fehler hätten uns nicht passieren sollen.

Awareness betreibt man nicht einfach nebenbei und auch nicht jeder Mensch kann einfach mal so Awareness-Aufgaben wahrnehmen. Es ist sinnvoll und notwendig, dass sich Menschen zu Gruppen zusammenschließen und Umgangsstrategien entwickeln, um Awareness einfühlsam, bedacht und effektiv anzuwenden.

Als Insel selbst können wir diese Aufgabe nicht bewältigen. Wir haben neben unseren eigenen Lebensdingen gerade derzeit enorm viel zu tun – alles unbezahlt und gern. Zu den Veranstaltungen, der Instandhaltung und den Verschönerungen, der ganzen politischen Arbeit, der Suche nach einem neuen Objekt und den ganzen notwendigen Absprachen in einer Gemeinschaft kommen auch die Lasten der Unsicherheit und der Bedrohung. Das soll kein Herausreden sein, sondern vielmehr ein Transparenzmachen unserer Lage. Um Awareness auf der Insel auszubauen brauchen wir ganz klar Support. Wie auch an anderen Stellen. Die Insel ist ein offener Raum und lädt immer schon ein ihn mitzugestalten und so näher an das Ideal eines soziokulturellen Freiraums zu kommen, das wir anstreben.

Freiraum bedeutet auch, dass je mehr Menschen sich diesen annehmen und einbringen, desto schöner kann er sein. Ein perfekter Freiraum ist sicher unser und auch euer Ziel und Anspruch. Utopie und Realität sind jedoch noch nie ganz Eins dabei. Wir verstehen, dass beim Auftreten von Problemen die Insel als idealistisch motiviertes Projekt stärker in Kritik genommen wird als Clubs beispielsweise und wollen dennoch nicht einfach nur verurteilt werden. Genau indem Probleme offen diskutiert und Lösungen gefunden werden, lernen wir und entwickeln uns gemeinsam weiter. So haben wir das immer gehandhabt.

Was wollen wir nun tun und was könnt ihr tun?

Wir wünschen uns auf unseren größeren Partys Awareness-Teams vor Ort zu haben. Das ist bereits seit längerer Zeit ein Beschluss des Plenums. Ob wir das bei jeder Veranstaltung gewährleisten können, hängt von den Menschen ab, die uns dabei helfen das umzusetzen.

Uns ist viel daran gelegen, dass Menschen frei von übergriffigen Erfahrungen sind. Wir sehen Partys im Idealfall nicht nur als Genuss einer bestimmten Musik sondern auch als potentiellen Raum für Erfahrungen, in denen Menschen wachsen, sich befreien und zueinander finden können. Dafür ist Sicherheit essentiell. Und prinzipiell sind Securities auch immer dafür da, bei Konflikten, Belästigungen und Gewalt angesprochen zu werden. Wir wünschen uns, wo es möglich ist, dass in Jena Awareness-Strukturen mehr verbreitet sind, dass es mehr Menschen gibt, die sich dazu organisieren und diese Gruppen für Veranstalter*innen gut aufzufinden sind. In diesem Sinne rufen wir euch nochmals dazu auf: Werdet Teil von Awareness-Teams, organisiert euch und unterstützt uns und andere dabei, schöne Partyabende für alle zu gewähren. Und wir wünschen uns ebenso eine Sensibilisierung bei allen Menschen zu dieser Problematik. Genau dafür ist ein Öffentlichmachen von Vorkommnissen und die Diskussion wichtig.

Wir hatten heute (Montag nach der Veranstaltung) auch ein Gespräch mit Vertretern des Café Wagner, die ebenfalls sehr traurig über diese Berichte sind, jedoch insgesamt den Eindruck einer friedlichen Veranstaltung mit uns teilen. Das ist ja das Problem dieser Übergriffe: sie gehen in der Masse der Menschen unter, sind schwer zu bemerken. Außerdem waren wir uns während der Vorbereitungen, auch mit den 4 Secus, einig keine Überwachung auf der Tanzfläche haben zu wollen. Also da keine Secus.

Soviel zu unserer Stellungnahme zum Thema.
Nun zum Entschluss, den wir getroffen haben:

Wir werden mit verschiedenen Gruppen, die bereits im Awarenessbereich tätig sind, zusammentun und ein Vernetzungstreffen für Awarenessstrukturen im Café Wagner organisieren. Das Ziel ist einen Pool an geschulten Awarenesscrews für Jena zu schaffen, auf den Veranstalter*innen zugreifen können. Das heißt wir laden alle, die sich vorstellen können da ab und an mitzuwirken, ein, um mit diesem Netzwerk Veranstaltungen sicherer und für alle schöner zu machen. Wir haben bereits die Zusage, das im Wagner machen zu können und werden euch auf sämtlichen Kanälen über den Termin informieren, sobald dieser feststeht.

Wenn ihr uns unterstützen wollt oder noch weitere Anregungen oder Kritik habt, könnt ihr uns jederzeit gern ansprechen.

Erfahrungsbericht von der betroffenen Person

Liebe Insel,

Wir müssen mal reden. Weißt du – ich mag dich eigentlich. Ich mag die Veranstaltungen, die in dir stattfinden, ich mag dich als Treffpunkt. Ich mochte die Musik, die gestern auf deiner Veranstaltung gespielt wurde. Und theoretisch mag ich auch den Freiraum, den du bieten solltest. Aber weißt du was problematisch ist? Diesen Freiraum bietest du nicht für Alle, ich zum Beispiel habe mich gestern in einigen Momenten gar nicht frei gefühlt.

Lass mich dir doch kurz von meinem Abend erzählen: ich hatte richtig Bock auf Feiern! Und ich mochte die Musik, also habe ich viel getanzt. Während ich getanzt habe, kam ein Typ von hinten und reibt seinen Ständer an mir. Ich drehe mich um, er grinst, ich schnauze ihn an und er versucht mich mit den Händen an meinen Hüften wieder umzudrehen. Ich höre auf mit Tanzen und gehe, weil ich mich eingeengt und bedrängt fühle. Das hat mich erstmal ganz schon rausgebracht und runtergezogen, aber hey, sexuell übergriffigen Mackern wollte ich den Raum nicht überlassen. Also habe ich neben Freund*innen von mir weitergetanzt. Als ich meine Augen aufgemacht habe sehe ich, wie mich ein Typ anstiert, ich schüttle den Kopf und schaue weg, aber er kommt trotzdem näher. Weil ich keinen Bock auf noch so eine Konfrontation habe, gehe ich nach draußen – er läuft mir hinterher. Ich kehre um und gehe schließlich auf die Toilette, um kurz Ruhe zu haben. Das war das zweite Mal in dieser Nacht, dass ich mich unfrei gefühlt habe und mir Freiraum auf der Toilette suchen musste. Freundinnen von mir gehen von der Tanzfläche runter, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben und Luft brauchen. Auch ich brauch eine Pause, also gehe ich raus und setze mich auf die Treppe vor dem Wagner. Eine Gruppe von Männern steht auch da. Ich hatte vielleicht zwei Minuten zum Atmen, dann kamen schon die ersten Sprüche. Ich signalisiere sehr deutlich, dass ich kein Interesse habe. Aber was weiß ich schon, als junge Frau so ganz allein draußen will ich es ja anscheinend auch nicht anders.


Ich habe nicht ständig die Kraft, mich verbal oder körperlich zu wehren. Ich hätte Unterstützung gebraucht. Wo war denn das Awareness Team? Auf jeden Fall war es nicht sichtbar. Die Person am Einlass meinte sogar, es gäbe keines. Und nein – die Crowd regelt nicht. Die Crowd ist zu 75% drauf oder besoffen. Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Erst vor ein paar Wochen ging eine Mail über sexistische und sexuell übergriffige Menschen herum.


Liebe Insel – eigentlich mag ich dich. Aber du bietest für viele Menschen keinen Freiraum mehr – und das ist scheiße!